5 Tage gelebte Utopie! Rückblick auf die „Putzi“-Besetzung

Am Freitag um 15:30 Uhr wurde Putzi besetzt. Das Gelände der Königsbrücker Staße 12 bis 16 grenzt an das Firmenareal der DENTAL-Kosmetik GmbH & Co. KG. Es umfasst drei Häuser und einen kleinen Garten. Erster Kontakt zur ARGENTA Internationale Anlagegesellschaft mbH, einer Immobilienfirma mit Sitz in München, welcher das Grundstück gehört, wurde aufgenommen. Ein Nutzungskonzept für das zukünftige Stadtteilzentrum wurde ebenfalls vorgelegt. Es wurden Banner angebracht und sich häuslich eingerichtet. Die Cops ließen sich an diesem Tag nur kurz blicken. Sie wirkten desinteressiert und überfordert. Zur Überraschung aller, geschah an diesem Abend nichts mehr außer einer erste kleinere Party. Sie sollte nicht die letzte Festivität dieser Tage sein, war das Motto doch: „Party bis zu Nutzungsvertrag“. Auch der Name für das neu geplante Stadtteilzentrum war schnell gefunden: Putzi solle es heißen, in Anlehnung an die bekannte Kinderzahnpasta, welche in unmittelbarer Nähe hergestellt wird.

Der Samstag startete mit einem Frühstück vor und im besetzeten Haus. Immer mehr Leute kamen vorbei und solidarisierten sich mit den „Tieren“ (so nannten sie die Besetzer*innen, welche Tierkostüme trugen selbst). Viele nützliche und notwendige Dinge, wie Essen, Werkzeug und H wurden per Flaschenzug ins Haus befördert. Freundlich winkend wurden Passant*innen begrüßt, nicht wenige grüßten zurück und bekundeten ihre Unterstüzung. Zu späteren Stunde folgte eine Konzert einer knapp 40 Menschen umfassenden Kapelle, bestehend aus den Brassbanditen aus Leipzig, sowie dem Ensemble Incroyable und Banda Communale aus Dresden. Dieses Konzert sollte es sogar in die lokale Springer Presse schaffen. Zitat BILD-Zeitung: „Sie tanzen zu Blasmusik […] entsprechen so gar nicht dem Bild der grimmigen Autonomen“. Im weiteren Verlauf dieses Abends kramten einige ihre Silvester-Reste zusammen und leuchteten „Putzi“ damit angemessen aus.Die Nacht blieb ruhig.

Am Sonntag gingen die ersten Menschen, nach dem gemeinsamen Frühstück, um 13:12 Uhr -höhö, 1312!- auf das Gelände und fingen mit den Gartenarbeiten an. Auch hier wiederholten sich Geschehnisse vom Tag davor. Viele Menschen allen Alters kamen und packten unter dem Motto „Putzi rausputzen“ fleißig mit an. Nach wenigen Stunden, war das Areal zumindest teilweise nutzbar. Mit vorbeilaufenden Passant*innen wurden interessante Gespräche geführt. Zum Beispiel mit einer ehemaligen Mitarbeiterin der Betriebskindertagesstädte, die sich zum damaligen Zeitpunkt in einem der Häuser befand. Man erntete Zuspruch und Bekräftigung. Vor allem die Erzählungen älterer Nachbar*innen füllten Putzi immer mehr mit Leben und Geschichte. Neben Gartenarbeiten wurden am Putzi immer wieder Möbel, Essen, Trinken und andere Sachen vorbei gebracht. Zum Abend konnte sich die getane Arbeit sehen lassen. Gemütlich auf dem Sofa wärmten sich die Leute am Feuer und ließen sich die Küfa vom DIY Eck-Laden schmecken. Mit einem etwas mulmigen Gefühl gingen Menschen schlafen, denn der Montag stand vor der Tür, das Münchener-Büro wird wieder besetzt sein. Es war klar, dass man sich darauf einrichten kann, dass die Argenta-Unternehmensgruppe bald reagiert.

Zum Wochenstart ging es weiter, wie das Wochenende endete. Menschen kamen und schauten sich Putzi an, brachten Sachen vorbei und trotzten der Kälte. Der Garten wurde ebenfalls weiter beackert. Auch wurde ein zweites Haus geöffnet, in welchem nun die Instandsetzung beginnen konnte. Es wurde von älteren Bewohner*innen der Neustadt versichert, dass das Gelände so gut aussah wie seit 20 Jahren nicht mehr. Man kam miteinander ins Gespräch und auf einmal schlichdie Erkenntnis ein: Mensch, wenn das hier alles so bleibt, dann haben wir alle die nächsten fünf Jahre nix anderes zu tun, als das Nutzungskonzept umzusetzen. Schnell einigte man sich darauf, dass es zwar viel zu tun gibt, es sich aber lohnen würde. Außerdem sei Lohnarbeit eh vollkommen überbewertet. Mitten in die Euphorie und das trügerisch sichere Gefühl, dass jetzt alles seinen selbstorganisierten, solidarischen Gang gehen würde bekam unsere Pressesprecher*in gegen 17:30 den Anruf eines Journalisten. Sie hätten eine Pressemitteilung von Argenta erhalten. In dieser Stand, dass Strafantrag wegen Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung gestellt wurde. Man werde alle rechtlichen Schritte…blablabla. Reichlich überrascht und ziemlich angepisst wurde diese Nachricht aufgenommen, hatte man doch in den vergangenen Tagen immer wieder versucht, Kontakt mit den Eigentümer*innen aufzunehmen. Angeblich war nie jemand zugegen, der/die verantwortlich gewesen wäre. Es verwundert dann doch, dass eben jene nicht anwesenden Personen, nun Strafanzeige stellen konnten und lieber die Polizei von einer angeblichen Einsturzgefahr – übrigens der größte Bullshit überhaupt – der Gebäude informierte als die Menschen die sich im Haus befanden.
Einschüchtern ließ sich davon jedoch niemand. Stattdessen wurde mit weiteren Bannerdrops geantwortet. Den Tieren im Haus ging es weiterhin gut. Nicht zuletzt durch die Nahrungs- und Sachspenden, die einfach nicht abreißen wollten. Am Abend gab es wieder Küfa, diesmal von der L33. Musikalisch untermalt wurde der Abend von Der Unicornverschwörung und dem DJ*ane Kollektiv Le Jus.
Das Putzi bekam das erste Konzert seines noch jungen Lebens.

Nach einer weiteren ruhigen Nacht ging es am Dienstag frisch ans Werk. Tagsüber wurde gemeinsam geräumt, gebaut und am Feuer entspannt. An diesem Tag gab es auch den ersten, wenn auch noch relativ entspannten Bullenkontakt. Plötzlich standen auf einmal Sven Fischer (Revierleiter Dresden Nord), Andre Barth (Ortsamtsleiter Dresden Neustadt) und ein Mensch vom Ordnungsamt auf dem Gelände. Nachdem vor allem dem anwesenden Polizisten ziemlich schnell klar gemacht wurde, dass seine Anwesenheit unerwünscht war, wurde vor der Tür ein kurzes Gespräch geführt. Man solle doch das Gelände freiwillig verlassen, da man doch nun sein Zeichen doch gesetzt hätte. Die Polizei wolle deeskalativ agieren und nicht „mit Kanonen auf Spatzen“ (Zitat Polizeipressemitteilung) schießen. Dieses Gesprächsangebot wirkte von der ersten Minute an etwas scheinheilig und vorgeschoben, um sich von Seiten der Stadt ein kommunikatives Deckmäntelchen zu geben. Recht deutlich gaben die Besetzenden zu verstehen, dass man mit keiner Lösung einverstanden sei, die beinhaltet, dass man das Gelände verlassen muss. Der Tag neigte sich dem Ende zu.
Küfa kam an diesem Abend vom AZ Conni und aus dem Malobeo. Chillige Beats gab es von Elektro Patronum. Außerdem haben die lieben Tiere eine Überraschung für die Unterstützer*innen vorbereitet. Es wurde ein rießengroßes Transpi aus dem Haus gehängt. Anlass war die 100-stündige Besetzung. Ein paar Menschen hatten zu Tränen in den Augen. Spätestens jetzt war klar: Hier ist etwas Großes entstanden. Input gab es vom EA-Dresden, welcher im Hinblick auf eine eventuell anstehende Räumung, kurze Einblicke in Antirepressionsabläufe und Tipps, was bei Bullenkontakt zu tun ist, mit auf den Weg gab. Angeregt wurden weitere Gespräche bis in die Nacht hinein geführt, ohne zu wissen, wie bald das kürzlich erworbene Wissen nützlich sein würde.

Am Mittwoch morgen, kurz nach acht Uhr, rollte die Polizei mit mehr als zwei Hundertschaften an. Zunächst verschaften sich die Cops Zugang zum Gelände und schmissen die Menschen raus, die sich im Garten aufhielten. Nicht wenige von ihnen sind wohnungslos und wurden so von einem der wenigen warmen Orte, die für sie zugänglich sind verwiesen. Herzlichen Glückwunsch dazu. Es befanden sich jedoch noch mehrere Personen im mittleren Haus und zwei auf dem Dach des rechten Hauses, sowie eine Person in einem Baum. Das Putzi war weiterhin besetzt! Jetzt fanden sich auch immer mehr Unterstützer*innen ein. Sie verteilten sich auf die Katharinenstraße und die Königbrücker Straße, da sich dort die Zugänge zum Areal befinden. Mehrere Blockadeversuch fanden statt, mal mehr, mal weniger erfolgreich. Spätestens jetzt zeigte sich, was von der angeblich deeskalativen Polizeistategie zu halten war. Und zwar gar nix. Menschen wurden von den Cops geschubst, getreten und beleidigt. Doch auch hier lies man sich nicht einschüchtern und setzte sich immer wieder gegen die „Staatsmacht“ zur wehr. Es wurde deutlich, wie sehr Putzi vielen Menschen am Herzen liegt und das sie nicht bereit sind, es widerstandslos aufzugeben. All dies geschah trotz eines fehlenden Räumungstitels, der die Räumung überhaupt erst zwingend notwendig gemacht hätte. Die Polizei handelte auf Eigeninitiative. Nun war auch endlich ein Vertreter der „Argenta-Gruppe“ vor Ort, der auf einmal doch reden wollte. Die Tatsache, dass er das mit 200 Bullen im Schlepptau machte zeigte jedoch, dass er wenig Bock auf Verhandlungen und Kompromisse jeder Art hatte. Da es die Argenta trotz vielen Angeboten zur Kommunikation und Verhandlungsbereitschaft seitens der Besetzenden, nicht schaffte sich während der immerhin 5 Tage, mit anständig in Verbindung zu treten kann dieses „Gesprächsangebot“ nur als Farce begriffen werden.
Es waren nun also immer noch Menschen in einem Haus, auf einem Hausdach, bzw. in einem Baum. Da die Polizei diese Situation offensichtlich nicht händeln konnte, forderte sie nun Amtshilfe durch die Feuerwehr an. Diese sah jedoch keinen Grund zum Eingreifen, da eine Gefahr für Leib und Leben nicht bestand und rückte wieder ab. Freude brach vor und in den Häusern aus. Könnte es sein, dass Putzi wirklich „unräumbar“ ist, wie es die Besetzer*innen lange Zeit verkündeten? Kurz darauf trat die Ernüchterung ein und die erneute Erkentniss, dass man niemals unterschätzen darf was die Polizei bereit ist zu tun, um die kapitalistische Eigentumsordnung zu schützen. Das SEK wurde in den Einsatz miteinbezogen. Angeblich weil es keine andere Möglichkeit gab, da keine anderen Beamten eine Ausbildung zur Höhenrettung- und intervention haben. Voll vermummt, tarngrün gekleidet und mit Maschinengewehren im Anschlag stiegen sie aus ihren Autos. Viele Zuseher*innen hatten den Eindruck, in einen Kriegseinsatz geraten zu sein. Es bleibt Unverständnis darüber, dass man nicht mit „Kanonen auf Spatzen“ schießen will, aber zu einer friedlichen Besetzung das Spezialeinsatzkommando, das schärfste Schwert der sächsische Polizei, hinzuholt. Zuerst holten die Spezialkräfte die Menschen vom rechten Hausdach. Die ersten Tranparente wurden abgenommen, die Häuser wurden wieder grau und eintönig. Nun bearbeitete man das mittlere Haus. Dieses war jedoch nicht nur im Erdgeschoss zugemauert, die Besetzer*innen hatten auch innerhalb des Hauses mehrere offenbar unüberwindbare Barrikaden errichtet. Erst der Zugang über das Hausdach, der mit einer Beschädigung des bis dahin intakten Daches einherging ermöglichte es dem SEK die Menschen aus dem mittleren Haus zu entfernen. Offenbar genervt, dass man es nicht durch die Haustür geschafft hatte ließen die Beamt*innen ihren Frust nun an den Besetzenden aus und traten sie die Treppe hinunter. Zuletzt blieb der Mensch im Baum. Dieser hatte sichtlich Spaß daran, die C
ops noch etwas länger zu beschäftigen.
Gegen 16:30 war die Räumung vollzogen. Über acht Stunden hatten die Menschen, trotz klirrender Kälte, in und vor den Häusern ausgeharrt. Ein Kraftakt, der Bewunderung verdient. Die „Tiere“ (Besetzer*innen des mittleren Hauses) wurden in die Gefangenensammelstelle gebracht, da sie sich weigerten ihre Personalien anzugeben. Gegen Mittag des Folgetages sollten sie alle wieder frei sein.

Am Abend um 18 Uhr versammelten sich fest entschlossene, laute und aktionsbereite Menschen am Alaunplatz zur Tag X Demonstration. Mit vielen Gesängen, Sprüchen und Pyro zog die Demo durch die Neustadt. Die anwesenden Bullen hatten sichtlich Probleme mit der Sponti schritt zu halten. Hier wurde erneut sehr deutlich, dass nicht nur die Tiere eine Bindung zum Haus und Gelände aufgebaut hatten, sondern auch die zahlreichen Unterstützer*innen. Putzi war schon längst über „Wir besetzen Dresden“ hinausgewachsen. Auch jetzt ließ es die Polizei sich nicht nehmen, noch einmal zu stressen. So wurde ein*e junge*r Mitstreiter*innen trotz Kälte lange Zeit mit heruntergelassener Hose in einer Maßnahme belassen.

Unsere Gefühle zu diesen Tagen lassen sich am besten durch die emotionalen Worte eine*r Genoss*in zusammenfassen:
„Die Polizei und Argenta haben unseren Traum von Putzi als Stadtteilzentrum, wie eine Seifenblase im Wind, platzen lassen. Schnell treibt diese auf, präsentiert ihre schillernden Farben und ließ nicht nur Kinderaugen leuchten. Fadenscheinige Aussagen, man wollte mit uns in Verbindung bleiben und man stehe ja schon mit der Stadt in Kontakt, sind für uns nicht greifbar. Doch unsere Utopien, Ideen und Willen, für Freiräume zu kämpfen, könnt ihr uns nicht nehmen. Wir bleiben Stark und lassen uns nicht unterkriegen! Ihr könnt so oft räumen wie ihr wollt, wir hören niemals auf zu träumen!“

One Struggle, one Fight – Wir besetzen Dresden, Putzi bleibt!

This entry was posted in News. Bookmark the permalink.